Tilla Theus begeisterte in Zürich das wissbegierige Publikum der Schweizer Baumuster-Centrale mit Einblicken in ihr Architekturschaffen. PREFA Schweiz hatte am 2. September zu der Brownbag Lunch Lecture „Diagonale Schuppung“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe KONKRET geladen, bei der die Architektin und ihr Hochhausprojekt in Horw (CH) im Mittelpunkt standen. Der Vortrag über das 46 Meter hohe Gebäude am Vierwaldstättersee mit natureloxierter Aluminiumrauten-Fassade lohnt sich für jeden Architekturinteressierten. Elmar Schilter, Geschäftsführer von PREFA Schweiz, ergänzte zudem ausführlich technische Details des ungewöhnlichen Fassadenaufbaus.
Klein-Klein kam nicht infrage
Im anschliessenden Gespräch mit PREFARENZEN vermittelte Tilla Theus, wie wichtig ein eingespieltes Team für die architektonische Praxis ist und wie sehr sie Materialien und deren Haptik schätzt. So bewies sich auch die Atmosphäre der Schweizer Baumuster-Centrale als perfekt, um über Architektur zu sprechen.
Wer mit Tilla Theus baut, erhält ein starkes und kompetentes Gegenüber. „Ich möchte den gesamten Produktionsprozess verstehen. Wie sollte ich sonst etwas weiterentwickeln können?“ Ihr erstes Projekt hatte ein Baubudget von über sieben Millionen Schweizer Franken. Klein-Klein kam für die Architektin von Anfang an nicht infrage, was nicht heisst, dass sie sich nicht um Details kümmert. Sie achtet genau darauf, dass alles zusammenpasst. Mit eigens entwickelten Verarbeitungsprozessen bietet Tilla Theus ihren Auftraggebern ausserdem gestalterische Lösungen, die gezielt über gegebene Standards hinausgehen. „Ich will weiterkommen“, erläutert sie, was sie technisch wie architektonisch meint, „und gebe nie auf. Das sollten junge Architekten übrigens auch nicht tun.“ In ihrem Vortrag „Diagonale Schuppung“ hatte sie bereits demonstriert, dass selbst hohe Baukosten nicht unbedingt ein Grund für Kompromisse sein müssen. Es sei wichtig, sich dadurch nicht die eigene Kreativität nehmen zu lassen.
Frau mit Tempo und Schneid
Inspiration findet die Architektin des Öfteren in anderen Bereichen. „Meine Neugier für Mode ist die gleiche wie für Gebäude. Viele Menschen verstehen diese besser als Architektur. Deshalb verwende ich gerne Begriffe aus der Mode, um Architektur zu erklären.“ Tilla Theus spricht von Stoffschichten und Stoffmustern als haptisches Erlebnis. Mode und Architektur seien ähnliche Experimentierfelder. Der Unterschied beider Metiers läge in der Zeitlosigkeit und Beständigkeit der Architektur, fügt sie hinzu.
Tilla Theus ist eine Frau mit Tempo und Schneid. Den Besuch in der Baumuster-Centrale nutzt sie selbstverständlich für einen Rundgang durch die mit Materialmustern gefüllten Regale. Neugierig streicht sie über die Boden- und Sandsteinvarianten, sucht etwas Bestimmtes. Um den direkten Bezug zu Herstellern und Verarbeitern, zu Baumaterialien und Produkten zu behalten, hat sie bisher ausschliesslich regional gebaut. „Ich möchte meinem Team und mir die Komplikationen ersparen, die internationales Bauen mit sich bringt.“ Intensive, gemeinsame Arbeiten wie mit PREFA Schweiz gelingen, weil man sich noch persönlich begegnen kann.
Partnerschaft zwischen Architekt und Industrie
In Horw ist es um 2.800 m² Fassadenfläche aus über 18.300 natureloxierten Aluminiumrauten gegangen, die unter anderem aus Gründen des Brandschutzes nicht auf Vollschalung aufgebracht werden konnte. Detaillösungen für diese Herausforderungen konnten nur durch enge Zusammenarbeit entwickelt werden. Tilla Theus betont die Partnerschaft zwischen Architekt und Industrie. Sie scheue sich nicht, mit den Menschen in der Produktion und an den Maschinen zu sprechen, das sei der beste Weg, mehr zu erfahren und mit der immer weiterwachsenden Komplexität des Baugewerbes umzugehen.
Um diese Partnerschaft geht es auch Stefan Baumberger, Geschäftsführer der Schweizer Baumuster-Centrale Zürich. „Unser Wissen über die Produktionsprozesse, Baumaterialien und die Firmen ist das eigentliche Kapital der SBCZ“, erklärt er. Die Baumuster-Centrale wurde 1935 als Genossenschaft produzierender Gewerbe gegründet mit dem Ziel, Baumaterialien zu zeigen und einen Diskurs über diese anzustossen. „Durch Ausstellungen grosser Materialmuster und Veranstaltungen bauen wir eine Brücke zwischen produzierender Industrie und entwerfenden Architekten.“ Dass man für viele Firmen eine Plattform ist, sich aber nicht als Werbemedium versteht, spricht insbesondere Architekten an. „Inhaltlich wie ästhetisch möchten wir einen Rahmen für den fachbezogenen Austausch schaffen, ohne zu bewerten“, führt Baumberger aus. Mit diesem Ansatz schaffte man es in das angesehene Forschungsnetzwerk des Material Archivs. Im kleinen Team organisieren sie die umfassende Materialmustersammlung, aus der auch Muster ausgeliehen werden können. Einheitliche Formate ermöglichen es den Besuchern, die Materialien zu „be-greifen“ und miteinander zu vergleichen. So profitieren wie am 2. September letztlich alle vom regelmäßigen Austausch über Baumaterialien: Hersteller wie PREFA, Architekten wie Tilla Theus und das bestens inspirierte Fachpublikum.
weitere Infos:
- Text & Interview: Claudia Gerhäusser
- Fotos: Croce & Wir